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Der Akt der Befreiung
Andacht von Thomas Hellriegel, Pfarrer in Vehlefanz
Nach dem Dunkel der Nacht im Studierzimmer und den Zweifeln an der Sinnhaftigkeit der Welt und seiner selbst, erlebt Goethes Faust das Licht des Ostermorgens und die aufbrechenden, fröhlichen Menschen vor dem Tor geradezu als innere und äußere Erlösung: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche … hier bin ich Mensch, hier darf ich‘s sein.“ Nach seinem Osterspaziergang beugt sich Faust - zurückgekehrt in sein Studierzimmer - über einen bedeutungsschweren Satz am Anfang des Johannesevangeliums:
„Geschrieben steht: Im Anfang war das Wort.
Hier stock ich schon. Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
ich muss es anders übersetzen,
wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
dass deine Feder sich nicht übereile.
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft.
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist. Auf einmal seh ich Rat
und schreib getrost: Im Anfang war die Tat.“ (Tragödie I, Kapitel 6)
Für Goethe und seine aufklärerischen Zeitgenossen lag der Schlüssel zur existentiellen Selbstverwirklichung des Menschen tatsächlich im Akt der Befreiung „aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (I. Kant). Das Neue Testament demgegenüber versteht unter dem Begriff der Freiheit gerade nicht die ultimative oder normative Kraft der Selbstvergewisserung im eigenen Tun. Für den Evangelisten Johannes ist Freiheit vielmehr die Folge einer personalen Beziehung zu Jesus Christus. Denn er ist es, der aus allen Bindungen existentieller und gesellschaftlicher Zwänge zur Wahrheit des Lebens befreit. Und das - wie Luther uns gelehrt hat - ohne eigenes Tun nur aus unverdienter Gnade und als Geschenk an jeden Menschen.
Thomas Hellriegel, Pfarrer in Vehlefanz
„Geschrieben steht: Im Anfang war das Wort.
Hier stock ich schon. Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
ich muss es anders übersetzen,
wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
dass deine Feder sich nicht übereile.
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft.
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
schon warnt mich was, dass ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist. Auf einmal seh ich Rat
und schreib getrost: Im Anfang war die Tat.“ (Tragödie I, Kapitel 6)
Für Goethe und seine aufklärerischen Zeitgenossen lag der Schlüssel zur existentiellen Selbstverwirklichung des Menschen tatsächlich im Akt der Befreiung „aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (I. Kant). Das Neue Testament demgegenüber versteht unter dem Begriff der Freiheit gerade nicht die ultimative oder normative Kraft der Selbstvergewisserung im eigenen Tun. Für den Evangelisten Johannes ist Freiheit vielmehr die Folge einer personalen Beziehung zu Jesus Christus. Denn er ist es, der aus allen Bindungen existentieller und gesellschaftlicher Zwänge zur Wahrheit des Lebens befreit. Und das - wie Luther uns gelehrt hat - ohne eigenes Tun nur aus unverdienter Gnade und als Geschenk an jeden Menschen.
Thomas Hellriegel, Pfarrer in Vehlefanz